Dienstag, 28. Mai 2013

Mulatu Astatke, Barcelona, 24.05.13


Konzert: Mulatu Astatke
Ort: Primavera Sound Festival, Barcelona
Datum: 24.05.2013
Zuschauer: volles Auditori
Dauer: 60 min



Die Versuchung ist riesig, die Vorgeschichte meines Mulatu Astatke Konzerts zu veschweigen und mich dadurch in ein intellektuelleres und kultivierteres Licht zu rücken. Ich wäre eben schon so früh am zweiten Festivaltag im Konzertsaal gewesen, weil ich mich für Ethio-Jazz interessierte. Punkt.

Ach, das nimmt mir doch eh keiner ab, also hier der wirkliche Hintergrund. Mit einer Freundin war ich 2010 beim von Belle & Sebastian kuratierten ATP. Dort begegnete uns der Name Mulatu Astatke, der neben all den Glasgower Bands, die einen Betriebsausflug in den Südwesten Englands gemacht hatten, nicht so ganz ins Programm zu passen schien. Ein Jazz-Musiker aus Äthiopien? Das klang nicht verlockend genug, um dafür eine der anderen B&S Lieblingsbands auszulassen. Wir ließen Mulatu Astatke also sausen und hätten vermutlich den Namen schnell wieder vergessen, wenn wir nicht vier Monate später die wundervollen Glasgower Zoey Van Goey in Köln interviewt hätten, die auch beim Bowlie waren, und die auf unsere Frage nach den besten Konzerten dieses Wochenendes antworteten:

Michael: großartig! Die Atmosphäre war so toll, alles vollkommen entspannt. Aber das Lineup war natürlich auch spektakulär. So viele ungewöhnliche Bands, so ein guter Mix! Für mich war zum Beispiel toll, Mulatu Astatke, den äthiopischen Jazzmusiker zu sehen... 
Kim: großartig!

Da war er wieder: Als ich das Programm des Konzertsaals am Rande des Primavera Festivalgeländes studierte, tauchte auch da der Name Mulatu Astatke auf - und mein Entschluß stand fest, daß ich ihn mir diesmal ansehen würde. In der halben Stunde vor dem möglichen Aufbruch, bezweifelte ich zwar wegen riesiger Müdigkeit noch kurz, ob die Idee so gut wäre, die Neugierde war aber größer als die Schlappheit, ich saß also wenige Augenblicke, bevor es losging auf einem der wenigen freien Plätze und gar zunehmend gespannter.

Gegen 17.15 Uhr betraten dann Unmengen an Musikern (alle männlich) die Bühne und nahmen ihre Positionen ein. Einen Pianisten, einen Kontrabass-Spieler, einen Cellisten, zwei Bläser, einen Schlagzeuger und einen Keyboarder machte ich aus. Als alle bereit waren, sprach der Saxophonist in sein Mikro wie ein Box-Ringsprecher: "Doctooor Muuulatu Astaaaatke!"

Mulatu Astatke stellte sich hinter ein Vibraphon und dirigierte sein Orchester. Ich finde es ungemein schwierig, Musik zu beschreiben, es ist auch vollkommen überflüssig, bei Jazz fällt mir dies noch viel schwerer. 

Die Stücke des Äthiopiers sind eingängig und kurzweilig. Obwohl das von mir so wenig geschätzte Saxophon fast immer zum Einsatz kam, war dies kein saxophonlastiger Jazz, wie man ihn aus schlechten Filmen kennt. Im Prinzip waren die Lieder mehr das, was Mogwai für die Indie-Musik darstellt: verspielte, ungemein melodiöse Stücke, nur mit Vibraphon- statt Gitarren-Wänden.

Ich habe bei Mulatus Kompositionen die gerne zitierten afrikanischen und lateinamerikanischen Einflüsse nicht stark herausgehört. Es klang nach Weltmusik im wörtlichen Sinne. Mulatu Astatke wurde in Großbritannien und den USA ausgebildet. Neben seinen afrikanischen Wurzeln sind diese Einflüsse sicherlich stark. Mögen Musikwissenschaftler jetzt einordnen, wie ungewöhnlich die Kunst des Äthiopiers ist. Mir jedenfalls gefiel die extrem kurzweilige, vom Vibraphon-Spiel dominierte Musik ganz ausgezeichnet. Es kam mir weit weniger lang als eine Stunde vor, was ein guter Maßstab zu sein scheint. Richtig ungewöhnlich wurde es aber gegen Ende. Es hatte zwar nach jedem Stück explodierenden Applaus des erstaunlich jungen Publikums gegeben. Aber erst kurz vor Ende brachen die Dämme. Erst standen nur einzelne Zuschauer auf, dann liefen erst ein paar, dann immer mehr in den kleinen Freiraum vor der ersten Reihe und tanzten zur Musik des Mannes, der ihr Großvater sein könnte, es war fabelhaft!

Mir bleibt jetzt nur noch, ein Dankesmail nach Glasgow für diesen guten Tipp zu schicken. Und mir fest vorzunehmen, häufiger mal über den Rand des Indiesüppchens zu gucken. Es muß allerdings schon der richtige Rand sein.


1 Kommentare :

Guido hat gesagt…

Für Filmfreunde "broken Flowers" auch kein Unbekannter.

 

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