Donnerstag, 31. Mai 2012

Mudhoney, Paris, 27.05.12


Konzert: Mudhoney
Ort: La Villette, Paris (Villette Sonique)

Datum: 27.05.2012

Zuschauer: tausende
Konzertdauer: 90 Minuten




Das alljärhlich in Paris stattfindende Festival Villette Sonique liebe ich wirklich sehr. Es läutet den Auftakt der Open Air Konzerte ein, bietet einige spannende Gratis-Konzerte am Nachmittag auf den Wiesen und hält für den Abend bezahlpflichtige Gigs mit oft außergewöhnlichen Künstlern* in den umliegenden Indoor Locations bereitet. Und erstaunlicherweise ist das Wetter immer fantastisch. Die Veranstalter müssen einen Pakt mit Petrus geschlossen haben, anders ist das Ganze nicht zu erklären! Seitdem ich hierhin komme, strahlt die Sonne jedes Jahr an jedem Tag aus jeder Ritze. Das war am Samstag bei den Konzerten von u.a. Mouse On Mars (Deutschland) und The Field (Schweden) so und bei Mudhoney am Sonntag nicht anders.


Beste Vorraussetzungen also für eine denkwürdige Show mit den alten Legenden des Grunge. Die Pariser waren dem Wetter enstprechend luftig gekleidet, trugen ihre Tattoos zur Show und vielen war an der weißen Haut anzusehen, daß sie dieses Jahr noch nicht so viel Tageslicht abbekommen haben. Aber Blässe passt ja auch irgendwie zur Indie-Rockmusik, wer ist in der Szene schon gebräunt?


Auch die etwas in die Jahre gekommenen Jungs von Mudhoney waren natürlich käsig weiß, jedoch erstaunlich drahtig und schlank und eigentlich nicht besonders alt aussehend. Sänger und Chef Mark Arm und seine Mitspieler Steve Turner, Dan Peters, Guy Maddison und Matt Lukin haben sich allesamt gut gehalten und so dachte man glücklicherweise keine Sekunde an den Auftritt einer abgehalfterten Altherrenband.


Zwar hielt sich Mark Arm in der ersten Phase des Konzertes ein wenig zurück, wurde aber im Laufe der Show immer wilder und aufgedrehter und giftete am Ende wie ein kleiner Teufel über die Bühne. Seine Stimme: saugeil. Anders kann man das wirklich nicht sagen. Sein agrresiver, aufmüpfiger Gesang ging mir durch Mark und Bein und hatte nichts von seiner rotzigen Ungestümheit verloren. Er sang durchgängig sehr stark, wurde am Ende allerdings etwas krächziger, was nur zu verständlich war.

Die vier alten Haudegen schonten sich nicht, schenkten den in der Mehrzahl begeisterten Zuschauern ordentlich ein und hatten mehr Saft und Ausdauer als so manche junge Band. Besonders witzig zu beobachten war der Sonnenbrille tragende Basser Guy Maddison, der nicht zur Originalbesetzung der Band gehörte und erst zum Album Since We've Become Translucent (2002) hinzugestoßen war. Ein lässiger Bursche, der ständig das Publikum grimmig anglotzte und manche hochkomische Grimasse schnitt. Er ließ den bösen Gorilla, oder üblen Mafioso raushängen, ist aber sicherlich privat ein ganz zahmes Lamm.


Gitarrist Steve Turner wiederum stand der Schalk im Nacken. Herrlich nonchalant spielte er seine muskulösen Riffs und lachte sich dabei oft diebisch ins Fäustchen. Er kommunizierte auch oft mit Bandleader Arm, rockte ein wenig mit ihm ab, während der Basser eigentlich nie die Band, sondern ständig das Publikum anguckte. Der hütchentragende und rosahäutige Drummer Dan Peters verzog gar keine Miene, hatte oft die Augen geschlossen und konzentrierte sich ausschließlich auf sein saftiges Highspeed-Spiel.


Ständig im Mittelpunkt stand aber natürlich Mark Arm. Der hagere Kerl mit den blaßblauen DDR-Grenzbeamter-Augen, trug seine strohigen Haare etwas kürzer als früher, hatte aber noch genauso viel Biss und erinnerte in seiner Gestik und Mimik oft an Iggy Pop, vor allem wenn er die Gitarre ablegte, wie ein Leguan über die Bühne streifte und mit gebücktem Körper sang bzw. krächzte. Eine ganz coole Sau, eine Ikone, ein veritabler Held! Angesichts der Tatsache, daß Grunge tierisch out ist, ist es kleine Sensation, daß er mit seiner Band trotz einiger Pausen immer weitergemacht hat und nach wie vor gut im Geschäft ist, zumindest, was Konzerte anbelangt. Mudhoney waren und sind eben eine hervorragende Liveband, da ist es verständlich, daß Veranstalter sie nach wie vor gerne buchen.


Das gespielte Songmaterial ging quer durch den Garten und umfasste viele Schaffensperioden. Besonders cool fand ich gleich in der Anfangsphase You Got It, eine alte Single von 1989, dann Fearless Doctor Killers mit der gemeinen Songzeile "Kill The Doctor" und kurz später natürlich When Tomorrow Hits. Mit Sweet Young Thing kam an zehnter Stelle eine ebenfalls sehr alte Single von den späten 1980 er Jahren, bevor in der Mitte des Sets der Überhit Touch Me I'm Sick höllisch abräumte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war die Stimmung wild und aufgeheizt und Crowdsurfer zogen ihre Runden über den Köpfen der anderen Festivalbesucher, die mit helfenden Händen das Surfen erst ermöglichten. Ein par der mutigen Heißsporne fielen dabei irgendwann ziemlich unsanft zu Boden und hatten Schwein, sich nicht das Genick zu brechen.


Oben auf der Bühne ging das Bombardement indessen gnadenlos weiter. Ohne Pausen und lange Ansagen wurden die Songs erbarmungslos abgefeuert und 90 Minuten lang ein wahnsinnig hohes Tempo gehalten. Lahme Stücke oder gar Balladen gab es nicht, stattdessen war Dauerbefeuerung aus allen Rohren angesagt.


Nach etwa 75 Minuten waren die vier alten Helden erstmals von der Bühne getrottet, kamen aber noch einmal für einen ausgiebigen Zugabenteil mit vielen Covern wieder. Besonders witzig fand ich, daß Basser Guy Maddison mit einer Flasche Rotwein und einem Glas auflief und sich erst einmal ganz genüßlich den Tropfen einschenkte, bevor er sich wieder auf sein eisenhartes Spiel konzentrierte. Die nun performten Cover waren erste Sahne und schlossen nach eineinhalb Stunden ein großartiges und denkwürdiges Konzert ab.

Setlist Mudhoney, La Villette Sonique, Paris 2012:

01: Poisoned Water Poisins In The Mind
02: Into The Drink
03: You Got It
04; Slipping Away
05: Fearless Doctor Killers
06: Hard-On For War
07: When Tomorrow Hits
08: In 'N' Out Of Grace
09: Judgement, Rage, Retribution And Thyme
10: Sweet Young Thing (Ain't Sweet No More)
11: No One Has
12: Good Enough
13: Touch Me I'm Sick
14. I'm Now
15: The Lucky Ones
16: Chardonnay
17: The Open Mind
18: Widow Of Nain
19: Tales Of Terror

20: Blinding Sun
21: Here Comes Sickness
2: The Money Will Roll Right In (Fang)
23: Hate The Police (Dicks)
24: Fix Me (Black Flag)


* in den letzten Jahren kamen u.a. die Young Marble Giants, Devo, The Fall und die Melvins 2012.



 

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