Dienstag, 13. Dezember 2011

Josh T. Pearson, Paris, 12.11.11


Konzert: Josh T. Pearson
Ort: Rough Trade Store chez Agnes b, 6 rue du jour, Paris
Datum: 12.11.11

Zuschauer: 40-50

Konzertdauer: etwa 35-40 Minuten


Eine Unsitte, die seit Jahren und allerorten grassiert, war auch der Grund für das heutige Konzert des überaus bärtigen Texaners Josh T. Pearson im nur eine Woche existierenden Rough Trade Store bei Agnes b. in Paris. Rough Trade England hat Pearson für The Last Of The Country Gentlemen die Krone des Album des Jahres 2011 aufgesetzt, obwohl das Jahr doch noch gar nicht zu Ende ist. Für mich persönlich sei auf Jahresrückblicke vor dem 1. Januar geschissen, mein 2011 geht bis zum 31.12.2011 24 Uhr!

Aber sei's drum, Journalisten sind nun einmal faule Säcke und rechnen schon im November ab, um dann im Dezember Urlaub (von was?) machen zu können. Wobei es natürlich stimmt, das Album von Josh ist in der Tat toll. Allerdings auch hier dir Einschränkung, daß mich Tonträger deutlich weniger interessieren als die Livedarbietung. "Ich esse gerne frische Kost und mag keine Konserven", dieser Spruch des Fernseh-Kochs Johannes Lafer trifft auch auf mich und meine Haltung zum Konsum von Musik zu. Echte Musikfans wählen also am besten am 1. Januar 2012 ihr Konzert des Jahres 2011 und behandeln die Liste der besten Alben eher stiefmütterlich.

Was die Livedarbietungen von Josh T. Pearson anbelangt, konnte ich mir dieses Jahr ein sehr gutes Bild machen. Ich habe ihn im Café de la Danse, beim Haldern Pop und im Bataclan als Support der Fleet Foxes gesehen und komme auf nunmehr 8 Konzerte insgesamt. Jedes Mal war der hagere Kerl mit dem Rauschebart fantastisch! Seine tottraurigen und unendlich langen Songs sind einfach wahnsinnig bewegend, atemberaubend intim und so tröstlich, daß man sie wie einen warmen Schal im Winter tragen kann (diese Metapher hatte ich glaube ich schon mehrfach, egal, passt zur Jahreszeit!). Zudem hat der Mann mit dem Kuhtotenkopf-Gürtel viel Humor und albert immer schelmisch grinsend rum, egal in welcher Sprache. Französisch, deutsch, englisch, er beherrscht sie alle. Auf deutsch sprach er mich dann auch plötzlich und unvermittelt von oben an ("hallo mein deutscher Freund"), fragte wie es mir geht und drückte seine Freuden darüber aus, daß ich gekommen bin.

Die Freude lang ganz auf meiner Seite, denn es ist immer wieder magisch, Josh zuzuhören. Wenn er es erst einmal geschafft hat, seine Gitarre ordentlich zu stimmen (das dauert bei ihm immer saulange!), dann ist er dermaßen in seinen Vortrag vertieft, daß man ihn gänzlich woanders wähnt. In diesen Momenten vergisst er dann sicherlich, daß er gerade in einem Modeladen vor einer Tannenbaumdeko spielt und erinnert sich stattdesen an seine schmerzlich zu Ende gegangene Beziehung zu seiner deutschen Frau. Die Texte strotzen voller Anspielungen an diese Geschichte, drücken seine ungeheuerliche Seelenpain aus und zeigen ein Mann voller Zweifel und Schuldgefühle. Ein schonungsloses Werk, dieses Last Of The Country Gentlemen, von dem er heute drei Songs (Smashhits wie ers selbst immer grinsend zu sagen pflegt) zum Besten gab. Vor allem Woman When I've Raised Hell ging unglaublich unter die Haut. Weit über 10 Minuten lang wimmerte er sich durch dieses Kleinod, hielt inne, intensivierte dann wieder Gesang und Gitarrenspiel und brachte die kleine Tochter des famosen Videofilmers Renaud von Le Cargo zum Schlafen. Die Kleine schlummerte ganz friedlich im Arm ihrer größeren Schwester und ließ sich von Pearsons Klagegesängen auch nicht mehr aufwecken.

Etwa 35 Minuten lang ging das so und dann war auch leider schon Schluß. Trotz des ausdrücklichen Wunsches eines Zuschauers wollte Josh auch keinen speziellen Weihnachtssong mehr spielen. "Weihnachten ist doch scheiße", murmelte er durch seinen langen Bart und kletterte die Treppenstufen zu den Fans runter, um CDs zu signieren (" you can buy the CD or you can give me the money and download that shit for free") und mit den Weibern zu flirten. Ob er wohl noch eine abgeschleppt hat?

Großartig wie immer, der Pearson!

Setlist Josh T. Pearson, Rough Trade Store chez agnes b., Paris:

01: Sweetheart I Aint Your Christ
02: Woman, When I've Raised Hell
03: Sorry With A Song






Aus unserem Archiv:

Josh T. Pearson, Haldern, 12.08.11
Josh T. Pearson, Paris, 30.05.11
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Josh T. Pearson, Paris, 24.06.10
Josh T. Pearson, Paris, 21.06.10
Josh T. Pearson, Paris, 20.06.10
Josh T. Pearson, Paris, 15.03.10




3 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Ich freu mich sehr über das schöne Foto. Vielen Dank, lieber Oliver!

Uschi aus Paris

E. hat gesagt…

ich fühle mich hier zu unrecht gemaßregelt! naja, ich bin ja kein journalistenfuzzi und zudem seit jahren vertreter der lehrmeinung: jahresabschlüsse nicht vor dem jahresende. mit meiner konzertliste war es nun aber in 2011 ein etwas anderes ding. naja, in den wind gesprochen!
josh? find ich cool!

Oliver Peel hat gesagt…

Och, menno, Eike, ich wollte dich doch nicht rüffeln! Aber wie du schon richtig sagst: du bist ja kein Journalistenfuzzi. Außerdem genießt du eh Artenschutz. So.

Nein, der Grund warum ich hier rumnörgele war, daß ich teilweise Anfang November bereits Albenbestenlisten gefunden habe. Da war dann kurioserweise bereits das erst im Dezember erschienene Album der Black Keys ganz weit vorne. Ist schon klar, Journalisten kriegen die Alben deutlich früher. Aber man muss auch an die Otto-Normalverbraucher denken.

Ansonsten hält es jeder mit den Listen wie er will, bei uns kommen sie eben erst später. Konzerte sehe ich eh noch ein paar.

@ Uschi: gerne, baby!

 

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