Samstag, 12. Juli 2008

Magnetic Fields, München, 04.07.08


Konzert: Magnetic Fields
Ort: Freiheizhalle, München
Datum: 04.07.2008
Zuschauer: ca. 200, gut besucht



Teil 1:


Spätestens als die ersten Töne von "I don't believe you" in der Mitte des ersten Sets von The Magnetic Fields erklangen, war ich angekommen im Zauber der ursprünglich aus Boston stammenden Band. Die Vertrautheit dieses Songs vom Album "I" wurde nachdrücklich durch das Aufstellen aller verfügbaren Nacken-, Arm- und sonstwo- Behaarung demonstriert. Der Blick verlor sich und in Seligkeit zog ich mit den Gedanken von dannen. Rekapitulieren konnte ich noch, dass das Konzert mit einem Titel der Band The 6ths begonnen hatte. Auf dem Album "Hyacinths And Histles" sang einst Chris Knox, denn Stephin Merritt, kreativer Kopf, Lenker und Denker der Magnetic Fields, ließ bei diesem Sideproject immer wieder andere Künstler ans Mikrofon. diesmal sang der mittlerweile ordentlich in die Breite gegangene New Yorker "When I'm Out Of Town" selbst. Wie auch den darauf folgenden Song "No One Will Ever Love You" vom Album "69 Love Songs", Merritts '99er Großtat. Ein schöner Einstieg in das Konzert waren die beiden Titel auf jeden Fall, jedoch steigerten sie die Unruhe, wie das tolle "Distortion" auf die Bühne gebracht werden wird. Angesichts einer Ansammlung von Instrumenten, die besser in ein kammermusikalisches Spiel gepasst hätten, war das Hirn in Krause gelegt. Keine Geräte, die vortäuschten Verzerrer zu sein. Keine Aufsätze auf Cello, Gitarre oder gar dem schwarzen, alten, ehrwürdigen Piano. Auch nicht an der Bouzouki, die Merritt während des gesamten Auftritts nicht aus der Hand geben sollte. Doch: "California Girls" strahlte. Titel Nummer drei war der erste von "Distortion" und schnell wurde klar, dass dieses Album in der Gestalt präsentiert werden würde, wie es sich mancher Hörer der Platte schon zuvor gewünscht hätte - ohne "Krawallwürze" bzw. "Verzerrernebel".


Die breite Bühne in der Münchner Freiheizhalle, die mit ca. 200 Gästen gut besucht war, teilten sich von links nach rechts: Shirley Simms, die mit vortrefflicher Stimme gesegnet auch auf dem aktuellen Album zu hören ist, daneben die langjährige Weggefährtin Merritts Claudia Gonson, die neben ihrem Gesang auch Pianoaktivitäten ins Ensemblespiel einfügte. John Woo, stiller Bestreiter und Könner an der Gitarre bildete die unausgewogene und schweigende Mitte gemeinsam mit Sam Davol, der das Cello zupfte, strich und liebkoste. Außen rechts agierte der Meister höchstselbst. Auf einem Stuhl thronend, vor sich ein Pult mit Mikro und Leselampe, durch die sein Gesicht leider immer wieder verdeckt wurde, regierte der Bandvorstand seine Mannen (und Frauen) mittels unsichtbarer Fäden. Wenngleich Claudia die Einsätze anzählte, die Witze riss und dem Publikum hyperaktiv Unterhaltung bot, Merritt war es, der goutierte, für nichtig erklärte, der absegnete und Beifall einforderte.


Die Stimme brüchig, hin und wieder um Haaresbreite an den passenden Tönen vorbei schrammend, sang Stephin mit der Innigkeit eines ehrlichen Geschichtenerzählers, so wie er es mit The Gothic Archies u.a. auf "The Tragic Treasury" gekonnt zelebrierte. "Walking My Gargoyle" stammt von diesem Album. Titel Nummer fünf führte geradewegs zu "The Nun's Litany", auf "Distortion" ein Ohrwurm unter vielen. Herrlich wie Shirley ohne größeren Aufwand die Gesangslinie hält und Wohlwollen verströmt. Das schwere Schlagzeug, die aufreizende Gitarre, das Flirren und Fiebern des Albumtracks werden live aufgewogen durch simplifiziertes Bouzoukispiel, eine agile Gitarre mit Bottleneckeinsatz, das filigrane Cello und das eingetröpfelte Piano. Ein Genuss.

Teil 2:

Spulte man den bisher imaginär abgelaufenen Film auf den Anfang, fände man sich vor den Toren einer relativ neuen Location Münchens wieder. Die Freiheizhalle verdankt ihren Namen einer Einrichtung, die zuvor anderen, gut nachvollziebaren Zwecken zur verfügung stand. Dem alten Backsteingemäuer wurde ein geschmäcklerisches Glaskästlein hinzugefügt, das als Einlass, Bar, Ausschank und Diskutiermeile genutzt wird. Vor der Halle befindet sich der junge Fassbinderplatz, zu seinen Füßen schwingt sich ein Asphaltsee. Zu Ehren des Regisseurs wurden in das gehärtete Schwarz Namen seiner Filme, Projekte und Assoziationen gestanzt. Eine Idee.

Eine ebenfalls gute Idee ist, dass Darren Hanlon das Vorprogramm bestreitet. Der Australier wird, nachdem die Zuhörer wenig emsig ihre Plätze (bestuhlt!) einnehmen und wir bequeme, mit Fußfreiheit ausgestattete Stühle in der zweiten Reihe ergattern, vom Veranstalter angesagt. Angesagt, wie in alten zeiten, da man sich die Mühe machte, dem Auditorium zu huldigen. So auch hier und heute. Dabei fällt der Hinweis, dass The Magnetic Fields ein zweigeteiltes Set mit jeweiles 45 Minuten spielen werden, ihrer Müdigkeit wegen und um dem Publikum eine Auszeit zu was auch immer zu gönnen. Drei Halbzeiten. Die erste gehörte Darren Hanlon, der lediglich mit seiner Gitarre bewaffnet eine halbe Stunde lang ausgesprochen witzig, charmant und humorig unterhielt. Anekdoten wirft er ab, feines, variantenreiches Spiel belegt die Brote, die Darren via kleinen Häppchen an die Zuhörer reicht. Er besingt Robert Mitchum und Eli Wallach, einen ebenfalls alternden Schauspieler, aber er kann auch herrlich widersinnig über "Couch Surfing" dozieren und erntet dafür wohlverdienten Applaus. und Lacher. Besonders von der jungen, reizenden Dame hinter mir. Laut, affektiert, spitz, unerträglich. immer. Jedes mal, wenn es nur irgendetwas zu schmunzeln gibt, ist sie da. Ich blende sie aus. Eine kurze Umbaupause folgt auf den kommunikativen Burschen, dessen Scheiben übrigens auf dem grandiosen Candle Records Label vertrieben werden. Merken, notieren, hinter die Ohren schreiben.

Eine kurze Umbaupause folgt, dann streben The Magnetic Fields auf die bühne. Das erste Set begann wie beschrieben:

1.) when i'm out of town ("hyacinths and histles")
2.) no one will ever love you ("69 love songs")
3.) california girls ("distortion")
4.) walking my gargoyle ("the tragic treasury")
5.) the nun's litany ("distortion")

während "I Looked All Over Town" ("I") ertönt, erhalte ich Besuch. Die zwei leeren Plätze neben mir werden von einem Pärchen besetzt. Von da an war es um meine Konzentration geschehen. Der Bursche neben mir stank nicht nur unbändig nach Schweiß, Bier und anderen Ausdünstungen, von denen ich mir keine plastischen Vorstellungen machen möchte, er war auch ungemein undiszipliniert. "Old Fools", "I Don't Believe You" und ich musste zusätzlich die Resonanzen meines Nachbarn ertragen. "Dreams Anymore" (vom Soundtrack "Pieces Of April") und der schmierige Kollege begann sich die Zähne mit Zahnseide zu bearbeiten. Neben mir agierten zwei dünne Arme, hin und her, hin und her. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich beschlossen, dass der Bursche ein Mensch mit eingeschränkter Alltagskompetenz ist. "This little Ukulele" spielte merritt solo ein, ein hübscher, kurzer Song über die Sehnsucht nach einem Orchester, das ihm süsse Geschichten erzählen kann, statt des kleinen Instruments, das die Wahrheit spricht. "Eban and Charley" heißt der Film, zu dem Merritt den Soundtrack schrieb.

Mein Film hieß währenddessen: mein Freund mit Handicap. Er cremte sich nun ein. Es stank noch mehr, da sich die unangenehmen Gerüche vermischten. "All Dressed Up In Dreams", wiederum ein the 6ths Song, dann das großartige "Zombie Boy" ("Distortion"). Mein Nachbar trank Bier, schoß kurzentschlossen mit großer Geste ein Foto. Der blonde Seitenscheitel fiel ihm ins Gesicht. Ich dankte, als mit dem herausragenden "Papa Was A Rodeo" ("69 Love Songs") der Vorhang für den ersten Teil des Konzerts fiel.

Das zweite Set blieben - Gott sei dank - die pPätze neben mir wieder unbesetzt. Die dritte Halbzeit begann mit dem Klassiker "Take Ecstasy With Me" vom "Holiday" Album. "Courtesans" von "Distortion" ergriff mich wieder unaufgefordert und schloss mich in den weiten Reigen der großartigen Musiker auf der Bühne vor mir. Eine Zugabe mit drei Stücken, u.a. dem Opener vom aktuellen Werk, da alle anwesenden "Three-Way" skandierten, beendete einen herrlichen Konzertabend, der trotz Störungen in angenehmer Erinnerung bleiben wird. Drei Halbzeiten und Gäste unterm Publikum, die noch oder nicht mehr beim deutschen Rolling Stone arbeiten. Auch sie schienen sichtlich zufrieden.

6.) i looked all over town ("i")
7.) old fools ("distortion")
8.) i don't believe you ("i")
9.) dreams anymore ("pieces of april")
10.) the little ukulele ("eban and charley")
11.) all dressed up in dreams ("wasp's nest")
12.) zombie boy ("distortion")
13.) papa was a rodeo ("69 love songs")
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14.) take ecstasy with me ("holiday")
15.) courtesans ("distortion")
16.) crows ("the tragic treasury")
17.) too drunk to dream ("distortion")
18.) the book of love ("69 love songs")
19.) give me back my dreams ("hyacinths and thistles")
20.) drive on, driver ("distortion")
21.) what a fucking lovely day! ("showtunes")
22.) yeah! Oh, Yeah! ("69 love songs")
23.) it's only time ("i")
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24.) three-way ("distortion")
25.) as you turn to go" ("hyacinths and thistles")
26.) grand canyon ("69 love songs")


Von Eike vom Klienicum. Vielen herzlichen Dank!




 

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