Sonntag, 20. Mai 2007

Cluster, Paris, 18.05.07

Konzert: Cluster
Datum: 18.05.2007
Ort: Le Nouveau Casino, Paris
Zuschauer: leider nicht ausverkauft

Zunächst mal vorab eine Frage an die Leser: wer kennt die Band Cluster? Bitte mal um Handzeichen! Oh, das sind aber nicht soo viele...

Darf ich sagen, daß es sich um eine Bildungslücke handelt, wenn einem die Gruppe, die zunächst Kluster hieß und heute wieder mit den beiden Hauptfiguren des Projekts, nämlich Hans-Joachim Roedelius und Dieter Moebius aufritt, nichts sagt? Ich muß gestehen, daß jene Bildungslücke bei mir bis vor kurzem ebenfalls bestand und erst langsam gefüllt wird. Aufmerksam geworden bin ich auf Cluster durch einen hochinteressanten Dokumentarfilm des WDR, der gegen Ende Dezember 2006 und Anfang Januar 2007 ausgestrahlt wurde. "Kraut und Rüben", so sein schöner Titel. Hatte nichts mit gesunden Ernährungsgewohnheiten zu tun, sondern mit einer Musikrichtung der frühen 70er Jahre, nämlich dem sogenannten "Krautrock". Von Bands wie Can oder Neu! hat mit Sicherheit jeder schon einmal gehört, der sich für Musik interessiert. Von Kraftwerk sowieso, ist ja heute noch eine der im Ausland bekanntesten deutschen Bands. Aber von Cluster? Zwischen Cluster und Kratwerk nun besteht eine gewisse Verbindung, denn Michael Rother war mal eine Zeitlang bei Kraftwerk und hat eines der bedeutendsten Alben von Cluster mitproduziert, nämlich das 1974 erschienene Werk "Zuckerzeit". Eben jenes mußte ich nach Ausstahlung der Sendung sofort haben, allein das Cover und das Booklet sind das Geld wert. Vor einem schwarzen Hintergrund breitet sich in rosa Farbe, der in schöner Schreibschrift dargestellte Albumtitel von links nach rechts oben strebend über die ganze Breite des Covers aus. Die pinke Schrift ist dabei mit einer weiß-funkelnden Glasur überzogen. Naschkatzen könnten glatt Lust bekommen, hineinzubeißen in dieses Candy! Aber auch der musikalische Inhalt ist luftig leicht, zumindest, wenn die Titel von Hans Joachim Roedelius stammen, wenn Dieter Moebius am Werk ist, wird es etwas düsterer, psychedelischer, es kommt dann auch zuweilen eine elektrische Gitarre zum Einsatz.

Bei Zuckerzeit handelt es sich genau genommen, um zwei nebeneinander laufende Soloalben von Moebius und Roedelius. Verblüffend ist, wie unglaublich modern die Aufnahme auch heute noch, also 33 Jahre später wirkt.

Vor ein paar Wochen nun, sah ich im Indie-Plattenladen meines Vertrauens nun ein Plakat, mit der Ankündigung: Cluster au Nouveau Casino, le groupe electro cult allemand, des années 70. Ich traute meinen Augen nicht, sollten etwa Cluster wieder auftreten? Die Überprüfungen via MySpace Seite ließen keinen Zweifel zu: 19 Mai 2007, Cluster au Nouveau Casino. Ich mußte sofort Karten haben und orderte noch am gleichen Tag.

Danach verstrichen ein paar Wochen, in denen ich versuchte, über MySpace Kontakt zu Moebius und Roedelius aufzunehmen, jedoch vergeblich, da die Seite myspace.com/theonlyclusterthatmaters von einem Engländer, oder Amerikaner betrieben wurde, der mir kurz mitteilte: "I'm not Cluster, i'm just running the page and ich sprechen kein deutsch." Schade, schade, gerne hätte ich um ein kurzes Gespräch vor , oder nach dem Konzert, mit einem der beiden Herren gebeten...

Irgendwann war dann endlich der 18. Mai, der Tag des mit Spannung erwarteten Konzertes gekommen! Wie würden Moebius und Roedelius heute aussehen? Auf dem Booklet zu Zuckerzeit, wo man sie in der französischen Stadt Metz in die Kamera von Christine Roedelius lächeln sieht, waren sie "Männer im besten Alter", schlank und im Falle von Dieter Moebius mit wallender Haarpracht...

Schlank sind sie auch heute noch, wie ich mich selbst überzeugen konnte, nur die Haare sind kürzer geworden (Moebius) oder kaum noch vorhanden (Roedelius). Es gehört sich eigentlich nicht, über das Alter eines Menschen zu spekulieren, wenn er oder sie die Vierzig hinter sich gelassen hat, aber trotzdem stellte ich mir die Frage. Hans Dieter Roedelius hielt ich für 60-65 Jahre alt. Beim Besuch seiner Homepage bzw. MySpace Seite stellte ich allerdings fest, daß man noch ein paar Jährchen dazu zählen kann. Der unglaublich fit wirkende Mann wurde 1934 in Berlin geboren, ist also 73 Jahre alt!

Und genau dieser inzwischen in Österreich lebende Herr, öffnete mir die schwere Eingangstür zum Konzertsaal des Nouveau Casino! Ich war erfreut über diese sehr höfliche Geste, aber auch ein wenig verlegen, denn im Grunde genommen sollte ja die jüngere Person, also ich, der älteren die Türe aufhalten... Übrigens kapierte ich, in jenem Moment noch nicht, mit wem ich es zu tun hatte, hegte jedoch eine später bestätigte Vermutung.

Bis zum Auftritt von Cluster sollte es aber noch eine Weile dauern, denn ein paar junge DJs, wohlmöglich aus Frankreich, durften zunächst ein wenig mixen. Ich vertrieb mir die Zeit, indem ich etwas durch den sehr stimmungsvollen Konzertsaal wanderte, die altmodischen OP-Lampen und gewollt-kitschigen Lüster bewunderte und an der Bar eine Cola orderte. Leider waren nicht allzu viele Leute gekommen, diejenigen, die aber da waren, schienen überwiegend um die 30-40 zu sein, trugen oft Intellektuellen-Brillen und saßen hinter Stahlschreibtischen mit Bürolampen. Das war herrlich nerdig, ich fühlte mich als Teil einer Insider-Veranstaltung, von der nicht jeder wußte.

Gegen 21 Uhr traten dann schließlich die Herren Moebius und Roedelius hinter ihre Mischpulte, nicht ohne die Aufmunterung ihrer zum Teil anwesenden Familienmitglieder erhalten zu haben. Im Publikum sah ich auch ein kleines, süßes Mädchen, vermutlich die Enkelin von einem der beiden Cluster. Sie wirkten hochkonzentriert und fokussierten sich jeweils auf ihre jeweiligen Regler, ohne Blickkontakt miteinander aufzunehmen. Moebius hatte, von der Bühne aus gesehen, links Stellung bezogen, Roedelius war rechts positioniert. Das Nouveau Casino wurde unmittelbar in eine mysteriöse Klangwelt getaucht, die Spots unterstrichen die interessante Atmosphäre. Viele Zuschauer hatten ihre Augen geschlossen und ließen Bilder in ihrer Phantasie entstehen, auch ich. Kein Wunder, daß Moebius und Roedelius auch schon Musik für Soundtracks gemacht haben, der Musikstil scheint dafür wie geschaffen. Das Tempo der zum Teil improvisierten Stücke war langsam bis mittelschnell, Tanzen bot sich nicht unbedingt an, wäre aber möglich gewesen.

Ich ließ mich gedanklich immer tiefer hinabgleiten in das Labyrinth aus Tönen und Phantasien und horchte nur auf, wenn ein Stück mal beendet wurde und der Applaus des Publikums eine Zäsur bildete. Zuweilen nutzte ich auch die Gelegenheit, das ein oder andere Photo zu nehmen. Stücke von "Zuckerzeit" erkannte ich übrigens keine, allerdings kein Wunder, denn das Set bestand zum Großteil aus neuen, noch nicht veröffentlchten Stücken. Der gut gemachten Website von Roedelius kann man entnehmen, daß da im Laufe des Jahres 2007 so einiges veröffentlicht werden wird, Neues, aber auch Altes, was bisher unveröffentlicht war. Beispielsweise eine Aufnahme von Roedelius mit dem Projekt "Human Being", welches einen Live-Mitschnitt aus dem Jahre 1968 bietet, aber auch eine DVD, aufgenommen in Kalifornien.

Während des gut 70-minütigen Konzertes habe ich mich keine Sekunde gelangweilt, trotz des kontemplativen Charakters der Musik. Im Gegenteil, ich fand das alles hochinspirierend und spannend. Ich glaube den anderen Zuschauern hat es auch sehr gut gefallen, sie spendeten langanhaltenden Applaus. Moebius und Roedelius gaben sich kurz die Hand und bedanken sich knapp in Landessprache: "Merci!, Merci beaucoup".

Ich hatte zu danken, für eine völlig neue musikalische Erfahrung und auch das nette Gespräch mit Hans Joachim Roedelius, was dann doch noch im Anschluß stattfand. Ich verwies auf unseren Konzertblog und bekam im Gegenzug ein Visitenkärtchen ausgehändigt. Besonders toll fand ich, daß Joachim auch ein Interview in Aussicht stellte! Selbst, wenn das nicht klappen sollte, fand ich die Geste ungemein entgegenkommend.

Tourtermine von Cluster unter www.roedelius.com

Ansonsten nicht verpassen:

06.06.07 Wien
15.06.07 Documenta/Kassel

von Oliver



 

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